Heinz Holliger

*  21. Mai 1939

von Michael Kunkel Peter Niklas Wilson

Essay

»Meine ganze Beziehung zur Musik ist so, daß ich immer probiere, an die Grenzen zu kommen« (zit. n. Wilson 1989). Die Suche nach Grenzerfahrungen ist so etwas wie ein Motto für Holligers umfassende musikalische Aktivitäten – als Interpret wie als Komponist. Als Oboenvirtuose transzendierte Holliger in den 60er-Jahren die traditionellen Beschränkungen des Instruments, erweiterte den Umfang, die Klangfarbenpalette, sprengte den Rahmen der Einstimmigkeit und entwickelte eine stupende Mehrklang-Technik. Und im gleichen Sinn versteht Holliger seine kompositorischen Erkundungen als bewusste Suche nach Grenzerfahrungen. Der Begriff der Grenze ist dabei weit und vieldeutig zu fassen: Um die Grenzen des Hörbaren, von Stille und Klang, von Klang und undifferenziertem Geräusch geht es da ebenso wie um physische Grenzen der Interpreten – und psychische Grenzerfahrungen, wie sie Dichter von Hölderlin bis Beckett formulierten.

Körperliche Grenzerfahrung ist der Alltag des konzertierenden Virtuosen. In diesem Sinn – und nur in diesem – sind Holligers Stücke Produkt seiner Praxis als Oboist. Es ist keine Oboisten-Musik in dem Sinn, dass Holliger sein Instrument kompositorisch bevorzugen würde: Seit dem Siebengesang für Oboe, Orchester, Singstimmen und Lautsprecher (Georg Trakl, 1966/67) entstanden für das Soloinstrument Oboe allein die zwei Studien ...